Nobelpreis
Für den Literatur-Nobelpreis hatte Schmidt nur Spott übrig und bezeichnete ihn in einem gleichnamigen Aufsatz vom 3. Juni 1956 als »Stigma der Mittelmäßigkeit« (III, 3, S. 295–297; der Aufsatz blieb zu Lebzeiten Schmidts ungedruckt und erschien erstmals im März 1985 in der Zeitschrift ›Der Rabe‹). Dabei richtet sich seine Kritik nicht gegen die Idee eines gut dotierten Literaturpreises –
Immerhin würde wohl fast=jeder Autor, auf die Frage ‹Wer kommendes Jahr den Nobel=Preis verdient habe›, vorausgesetzt, daß er ehrlich sein wollte antworten : ‹ICH!›.
– heißt es da etwa in ›Ein unerledigter Fall‹ (1963), sondern gegen die Urteilsunfähigkeit des Komittees, das zielsicher die falschen Personen auszeichnet. So formuliert etwa Sprecher A im Dialog ›Klopstock oder verkenne Dich selbst‹ aus dem Jahr 1957:
Wozu diese angeblichen Kenner imstande sind, belegen Ihnen ja jährlich die unermüdlich verteilten Nobelpreise : die erhält Sienkiewicz für ‹Quo Vadis› – aber nicht Rilke und Trakl! Den erhält Churchill, literarisch ein Journalist ausgesprochenen Mittelmaßes : aber nicht Bert Brecht, oder James Joyce! : Gehen Sie mir doch mit Ihren Literatursachverständigen!
Ähnliche Aussagen finden sich im Werk immer wieder, sobald die Rede auf öffentliche Auszeichnungen von Schriftstellern kommt. Als Grund für die Fehlurteile des Nobelpreis-Komitees führt Schmidt in ›Stigma der Mittelmäßigkeit‹ vor allem die Sprachbarriere an, die dafür sorgt, dass sich die Preisrichter auf das Material, nicht die Form des literarischen Werks konzentrieren:
Man kann, ganz einfach, den nicht würdigen, den man nicht versteht! Wenn ein Ausländer also liest : »Durch die Büsche winden Sterne Augen tauchen blaken sinken Flüstern plätschert Blüten gehren Winde schnellen prellen schwellen Fallen schreckt in tiefe Nacht« – dann muß er, den ‹Webster› (oder wie das Ding auf Skandinavisch heißt) vor der Nase, ewig tüfteln, ehe er eine ungefähre Vorstellung von dem bekommt, was der Dichter solchermaßen hinzauberte. Dagegen Churchill?! : übersetzt sich doch wunderbar einfach; und Jeder kann an dem fabelhaft interessanten Stoff teilhaben, sich als Premier dünken : so klein ist Niemand, daß er sich nicht zu Hause ‹Grande› nennen ließe! Oder, in Einfachdeutsch : was sich gut übersetzen läßt, kriegt’n Preis!BA III, 3, S. 296 f.