B 1107

Am 15. Dezember 1948 notiert Alice Schmidt in ihrem Tagebuch:

treff. zu uns Erstaunen vor B 1107 Nebel, der läd’ uns zum Eintreten ein & siehe da, B 1107 ist Benefelds automatische Telefonzentrale. So was!
TB 1948/49, S. 47

Nebel war der Posthalter in Benefeld, »B 1107« die Bezeichnung für ein kleines Gebäude, in dem die Telefonzentrale der Pulverfabrik Eibia untergebracht war. In der »gut getarnten Anlage« stellten ab 1942 6.000 Zwangsarbeiter Schießpulver für die Rüstung her (vgl. TB 1948/49, S. 5).

Am 2. Juni 1949 wird das Gebäude erneut erwähnt:

Nebel getroffen & mit ihm wieder B 1107 angesehen. Ideale Wohnung f. uns. Uns so recht ausgemalt.
TB 1948/49, S. 102

Anfang Juni zeichnet Arno Schmidt eine sorgfältige Skizze von Ansicht und Grundriss (TB 1948/49, S. 104, eine farbige Reproduktion der Zeichnung findet sich Bildbiographie, S. 161). Dieses winzige, wohl kaum 20 m² große Gebäude B 1107 gewinnt für die Schmidts hohe Symbolkraft und wird »zu einem wichtigen Bestandteil der Schmidtschen Privatmythologie« (Bildbiographie, S. 161), der auch in dem privaten und für Außenstehende nicht nachvollziehbaren Punktesystem, mit dem die Schmidts die Monate bewerteten, eine große Rolle spielt.

Am 5. Juli notiert Alice Schmidt:

Wir PAB. [Postamt Benefeld] erfahren dort, daß B 1107 in den nächsten Tagen gesprengt werden soll. Sind ganz niedergeschlagen & beraten, ob wir irgend einen Versuch zur Erhaltung (für uns zum drin wohnen) machen könnten. Kommen aber zum Entschluß, daß doch zwecklos. – O diese verrückte Welt! – Oh!!
TB 1948/49, S. 113

Am 24. Juli heißt es: »machen Schild v. unserem armen B 1107 ab« (TB 1948/49, S. 119).

Das Gebäude B 1107 hat seinen Niederschlag in Schmidts Werk gefunden. Im Roman ›Schwarze Spiegel‹ (1951) stößt der Erzähler auf die Trümmer eines Zementhäuschens und findet dort ein Schild:

Tiefblau und weiß: so erschien eine emaillierte Ecke in der Tiefe, und ich pfiff hastig und ruhte nicht eher, bis ich das Schild ganz heraus hatte: 12 mal 20 und B. 1107. Und ich dehnte die Augen und lachte nickend und ingrimmig : très bien! Da habe ich also meine Hausnummer: B Punkt (oh: ein solider dicker Punkt!) Elfhundertsieben. Ich wischte das Staubige mit dem Taschentuch blank und blau: darauf konnte jedes Holz staus sein (oder »Haus stolz«; ist egal).

In ›Aus dem Leben eines Fauns‹ (1953) wird ein »Bunker B 1107« beim Lufangriff auf die Eibia zerstört (BA I, 1, 2. 383). Noch im Spätwerk lassen sich Spuren des frühen Fluchttraums auffinden. So denkt Pagenstecher in ›Zettel’s Traum‹ (1970):

(damit Mein Biograf dereinst resümieren könne : ›Er verliebte Seine letztn Jahre im Ruhtestand‹?; (im Haus Nr. B 1107

In ›Abend mit Goldrand‹ wird das symbolschwangere B 1107 dann der »Rotte« übergeben:

Erst eine (irgndeine!) Duchess kidneppm; dann die dazu passnde BOEING B 1107 highjack’en.
Zuletzt geändert: 25.3.2021
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