›Kaff‹, Ovid und Lafontaine

Freitag, 26. September 2008

In ›Kaff auch Mare Crisium‹ lassen sich Hertha & Tante Heete von Karl das Verhalten verliebter bzw. nicht-verliebter Jünglinge erklären. Karl zitiert dabei aus einer nicht genannten Quelle, nämlich »a’m lateinischn Buchche« (BA I, 3, S. 87 f.). Bei Lafontains ›Quinctius Heymeran von Flaming‹ stößt man – in der Ausgabe der ›Haidnischen Alterthümer (Frankfurt a. M., Zweitausendeins 2008, Bd. I, S. 108–110) – exakt auf die gleichen Zitate, in etwas anderer Reihenfolge und, natürlich, in anderer Orthographie. Bei dem »lateinischn Buchche« handelt es sich um Ovids ›De arte amandi‹, aus dem sich die Frau von Flaming vom Hauslehrer Beyer eben jene Merkmale vorlesen bzw. übersetzen lässt.

Ich gebe ein Beispiel:

: »Willsdu die Liebe aus des Jünglinx Brust vertreibm?: So laß ihn täglich 4 Mal die gelbe Tiber schwimmend durchmessen. Dann zähme er ein wildes Punisches Roß in dem Schtaube des Marsfelz 2 Schtundn lang. Dann laufe er mit seinen Freundn 2 Mal die große Rennbahn aus. Ein hartes Lager von einem Bärenfelle emmfange den Müden: ehe noch der Sonne goldene Schtrahlen die Thäler erleuchtn, wecke ihn aus den Armen des Schlafs zur Arbeit des vorijen Tages.«
BA I, 3, S. 88
Bei Lafontaine liest sich das so:
Beyer blätterte und las: »Willst du die Liebe aus des Jünglings Brust vertreiben, so laß ihn täglich viermal die gelbe Tiber schwimmend durchmessen. Dann zähme er zwei Stunden ein wildes Punisches Roß in dem Staube des Marsfeldes. Dann laufe er mit seinen Freunden zweimal die große Rennbahn aus. Ein hartes Lager von einem Bärenfelle empfange dann den Müden. Ehe noch der Sonne goldne Strahlen die Thäler erleuchten, wecke ihn aus den Armen des Schlafes zur Arbeit des vorigen Tages.«

Nun traue ich Schmidt natürlich zu, dass er Ovid gelesen hat – aber dass er genau die Ausschnitte zitiert, die auch Lafontaine zitiert, scheint mir doch sehr darauf hinzudeuten, dass Schmidt sie aus dem ›Quinctius‹ hat. Laut BVZ 246.18 trägt Schmids Exemplar des Romans einen Besitzervermerk aus dem Jahr 1956, Schmidt hat für ›Kaff‹ 1958/1959 Material gesammelt und die erste Fassung des Romans in einem erstaunlichen Kraftakt in nur fünf Wochen geschrieben (13. November bis 19. Dezember 1959).

Ob sich zwischen den ähnlich gelagerten Szenen bei Lafontaine und in ›Kaff‹ weitere, dem Verständnis förderliche Verbindungslinien ziehen lassen, weiß ich nicht. Dazu müsste man den Roman vielleicht doch komplett lesen – was ich, nach jetzt rund 180 Seiten, wahrscheinlich nicht tun werde. Es wäre doch mal schön, wenn in den ›Haidnischen Alterthümern‹ Romane neu aufgelegt würden, die eine Neuauflage und Lektüre auch lohnen.

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