Etymtheorie
Als »Etyms« bezeichnete Schmidt kleinste Worteinheiten, die unabhängig von ihrer Semantik durch Gleichklang organisiert sind und die Wortwahl unbewusst determinieren. Durch klangliche Ähnlichkeiten semantisch getrennter Wörter würden so meist unbewusste Gedanken ausgedrückt und weitere Sinnebenen eines Textes etabliert. Im Dialog ›Das Buch Jedermann‹ (Dezember 1965) heißt es:
A: […] taufen Wir die polyvalenten Gesellen einfach einmal ›Etym‹ […] Wir sind uns also darüber einig: daß einem Deutschen bei ›lauf‹, sowohl der Vorderfuß eines Rehes einfallen dürfe; als auch das graziose Bahnumkreisen von Damen bei 4=Mal=Hundert=Meter= Staffel; das steiff=folgenreiche Gewehrröhrchen ebenso, wie das ›laufen‹ etwelchen Wasser=Hähnchens?
B.: ›Lauf, Jäger, lauf‹ – mir ist eben sogar noch Joseph Lauff dazwischen geraten : so’n ältlicher Romancier.
A. (zeitgenössisch=belastet): ›Pittje Pittjewitt‹, gelt? – Aber Sie haben von selbst den Beleg geliefert, wie jedwedes Wort, das Wir äußern, mehrfach ›überdeterminiert‹ ist; Drehscheiben=, Weichen=Charakter hat; sodaß die Verzweigungen unserer Gedankenfolgen, die oftmals putzig wirkenden, allein schon unter diesem Aspekt betrachtet, gar nicht so willkürhaft=absurd sind.
Bei bewusstem Einsatz von Etyms durch gezielte Verschreibungen könnten so mehrstimmige Texte geschrieben werden, mit der sich die physische und psychische Realität korrekter abbilden lässt.
Schmidt beruft sich für seine Etymtheorie auf sein Verständnis der Psychoanalyse. Mit den Schriften Freuds beschäftigte er sich intensiv ab etwa 1962. Erstmals lässt sich Freuds Einfluss in der im Mai 1962 geschriebenen Erzählung ›Kundisches Geschirr‹ nachweisen. Auf einige Wochen zuvor datieren die ersten Vorarbeiten zur Karl-May-Studie ›Sitara‹, an der er von August 1962 bis Februar 1963 arbeitete. Hier wird Freud erstmals als Kronzeuge herangezogen und versucht, Karl Mays Landschaftsschilderungen als unbewusste Körperabbildungen zu deuten. In ›Zettel’s Traum‹ wird schließlich die Etymtheorie als hermeneutisches Modell entwickelt und für den Schreibprozess genutzt.