Dialoge

Am 7. Juni 1955 trifft Arno Schmidt Alfred Andersch in Stuttgart, der ihm – angesichts der geringen Zeitungs- und Buch-Honorare – empfiehlt, »lieber nebenher f. Rundfunk zu arbeiten« (TB 1955, S. 143). Schmidt greift diese Anregung auf und schreibt zuerst das Hörspiel ›Siebzehn sind zuviel!‹ zu James Fenimore Cooper. Das Manuskript schickt er am 10. Juli an Andersch, der das Stück zwar goutiert, für die Reihe seiner ›Nachtprogramme‹ aber für ungeeignet hält:

Ihre Szenen »Zum Gedächtnis Coopers« sind als Radiomanuskript durchaus geglückt, aber sie sind für das Nachtprogramm nicht verwendbar, weil Sie nämlich Struktur und Qualität dieses Programms doch wohl nicht richtig sehen und aus diesem Grunde unterschätzt haben.
Briefe I, S. 61 (19. Juli 1955)

Schmidt ließ sich dadurch allerdings nicht entmutigen, sondern schrieb sofort den Dialog ›Nichts ist mir zu klein …‹ über Barthold Hinrich Brockes, den er am 30. Juli an Andersch schickte. Diesmal ist Andersch begeistert, akzeptiert das Manuskript und sagt ein Gesamthonorar von 900,– DM. Alice Schmidt notiert dazu am 13. August in ihrem Tagebuch:

Wir sind in sehr großer Freude! Die 1. eigene Funksache angenommen! Und 900! Prima, prima! […] A. will jetzt nur noch Funksachen machen, mehrere und die versenden wie die Zeitungsartikel. »Schreibe kein Buch mehr, müßt ich ja verrückt sein, wo ich so ’s Geld viel leichter verdiene.«
TB 1955, S. 201

In den folgenden Jahren schrieb Schmidt regelmäßig Dialoge, meist zu weniger bekannten Autoren – nicht umsonst trägt der 1965 erschienene Sammelband ›Die Ritter vom Geist‹ den Untertitel »Von vergessenen Kollegen« – und entwickelte dabei eine eigene, ausgesprochen lebendige Prosaform. Für alle Dialoge gilt im Grunde das, was Alfred Andersch bereits in einem Brief vom 10. August 1955 zum Brockes-Dialog anmerkte:

Meine ganz private Meinung ist die, daß die Dinge, die Sie von Brockes ausgewählt haben, recht faszinierend sind, aber ich glaube nicht, daß Brockes noch lebt, sondern daß er tot ist, und daß es auch Ihnen nicht gelingen wird, ihn wieder lebendig und zu mehr zu machen als zu einer interessanten Literatur-Marginalie. Die Bedeutung der Sendung liegt in erster Linie darin, daß Sie sich an Brockes entzündet haben. Und alles, was Sie, besonders im ersten Teil der Sendung, über Realismus usw. sagen, ist im Grunde wichtiger als das, was in den Gedichten von Brockes steht, so interessant sie sich in einzelnen Passagen anhören mögen.

Von 1955 bis 1960 schrieb Schmidt rund einen Dialog pro Vierteljahr zu verschiedenen Autoren, gelegentlich auch zu anderen Themen. Danach lässt die Frequenz nach und Schmidt nutzte die Dialogform auch, um für seine Übersetzungen von Wilkie Collins’ ›Die Frau in Weiß‹ oder Bulwers ›Was wird er damit machen?‹ zu werben. Nachdem ›Zettel’s Traum‹ zwar noch einen Ich-Erzähler besitzt, aber größtenteils als Dialog zwischen vier Hauptpersonen angelegt ist, wechselte Schmidt anschließend mit ›Die Schule der Atheisten‹, ›Abend mit Goldrand‹ und dem Fragement gebliebenen Roman ›Julia oder die Gemälde‹ endgültig zur (scheinbar) erzählerlosen Dialogform, die er im Untertitel als »Novellen=Comödie«, »Märchenposse« und »Scenen aus dem Novecento« auswies.

Neben den unten angeführten Arbeiten plante Schmidt noch einige weiterer Dialoge, die aber entweder aus dem Planungsstadium nicht hinauskamen oder Fragment geblieben sind, andere Dialoge wie den zu Friedrich Wilhelm Hackländer hat er in seine späten Dialog-Romane aufgenommen, auf deren Form auch die späten Dialoge zu Bulwer und Spindler verweisen.

1955
›Siebzehn sind zuviel!‹ (James Fenimore Cooper)
›Nichts ist mir zu klein …‹ (Barthold Heinrich Brockes)
›Anachronismus als Vollendung‹ (Friedrich de la Motte Fouqué)
›Samuel Christian Pape (1774–1817)‹
1956
›Vom neuen Großmystiker‹ (Karl May)
›Herrn Schnabels Spur‹ (Johann Gottfried Schnabel)
›Wieland oder die Prosaformen‹
›Dya na Sore‹ (Wilhelm Friedrich von Meyern)
1957
›Die Meisterdiebe. Von Sinn und Wert des Plagiats‹
›Klopstock oder verkenne Dich selbst‹
›Die Schreckensmänner‹ (Karl Philipp Moritz)
›Das schönere Europa‹
›Der Bogen des Odysseus‹ (James Joyce)
›Abu Kital‹ (Karl May)
1958
›Der sanfte Unmensch‹ (Adalbert Stifter)
›Krakatau‹
›Herder oder vom Primzahl=Menschen‹
›Hundert Jahre‹ (Heinrich Albert Oppermann)
1959
›Belphegor‹ (Johann Karl Wezel)
›Die Kreisschlösser‹ (Franz de Paula Gruithuisen)
›Müller oder vom Gehirntier‹ (Johannes Müller)
››Funfzehn‹‹ (Ludwig Tieck)
›Der Waldbrand‹ (Leopold Schefer)
1960
›Tom All Alone’s‹ (Charles Dickens)
›Angria & Gondal‹ (Brontë-Schwestern)
›Das Geheimnis von Finnegans Wake‹ (James Joyce)
1961
›Eberhard Schlotter: ›Das zweite Programm‹‹
›Der Triton mit dem Sonnenschirm‹ (James Joyce)
›Old Shatterhand und die Seinen‹ (Karl May)
1963
›Ein unerledigter Fall‹ (Gustav Frenssen)
›..... und dann die Herren Leutnants!‹ (Adalbert Stifter)
1965
›Der Ritter vom Geist‹ (Karl Gutzkow)
›Eine Schuld wird beglichen‹ (August Lafontaine)
›Das Buch Jedermann‹ (Jame Joyce)
1966
›Der Titel aller Titel!‹ (Wilkie Collins)
1969
›Was wird er damit machen?‹ (Edward Bulwer-Lytton)
1971
›… denn ›wallflower‹ heißt ›Goldlack‹‹ (Edward Bulwer-Lytton)
1973
›Der Vogelhändler von Imst‹ (Carl Spindler)
Zuletzt geändert: 2.4.2021
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